Die Verkehrswende Tulln-Klosterneuburg (TUKG), die Radlobby Niederösterreich, die Parents for Future Österreich und die Radlobby Klosterneuburg bezogen im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zur StVO-Novelle Stellung. Die Interessensvertreter*innen für die aktive Mobilität begrüßen die geplanten Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr, plädieren jedoch für weiterreichende Maßnahmen.
„Manche werden sich fragen, warum sich unsere bezirksweite Initiative für das Gehen, Radfahren und den öffentlichen Verkehr an einem bundesweiten Begutachtungsverfahren beteiligt“, meint Eva Seibold, Sprecherin der Verkehrswende Tulln-Klosterneuburg (TUKG) und gibt auch gleich die Antwort. „Weil der vorliegende Ministerialentwurf zur StVO-Novelle zwar einige Verbesserungen vorsieht, jedoch zahlreiche Änderungen vermissen lässt, um die selbst gesteckten Ziele auch zu ermöglichen, nämlich ‚Förderung der sanften Mobilität sowie Steigerung der Verkehrssicherheit speziell für Kinder und Jugendliche‘. Um diese Ziele in den Gemeinden tatsächlich auf die Straße zu bringen, sind weitere mutige Schritte nötig, wie wir sie in unserer Stellungnahme vorschlagen.“
Beispiel: Tempo 30 in sensiblen Bereichen
Nach geltender Gesetzeslage ist es kaum möglich, auf Landesstraßen vor Schulen, Kindergärten, Spielplätzen, Seniorenheimen, Behinderteneinrichtungen oder Spitälern Tempo 30 zu verhängen – selbst wenn das Verkehrsaufkommen hoch ist, die Gehsteige schmal sind und die Radverkehrsinfrastruktur fehlt. Das Argument der Sicherheit für Schulkinder, für Menschen mit Kinderwagen, Rad oder Rollator reicht derzeit einfach nicht aus, um das Tempo in sensiblen Bereichen zu senken. Leider sieht der Ministerialentwurf zur StVO-Novelle hier keine Verbesserungen vor, obwohl die Temposenkung vor Schulen sowohl im Regierungsprogramm 2020-2024 als auch in der Verkehrssicherheitsstrategie 2021-2030 genannt werden.
Beispiel: Freilandstraßen ohne Rad- und Fußgängerinfrastruktur
Auch auf Freilandstraßen mit fehlenden Geh- und Radwegen hat das Sicherheitsargument wenig Chance gegen die Regelhöchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Zur Verordnung einer niedrigeren Höchstgeschwindigkeit kommt es meistens erst, wenn die betreffende Strecke zur offiziellen Gefahrenstelle erklärt wird – das heißt, nachdem Unfälle passiert sind. „Wer einmal mit 100 km/h viel zu knapp überholt wurde, überlegt es sich, diese kurze Strecke in den Nachbarort mit dem Rad zurückzulegen – erst recht, wenn man gemeinsam mit Kindern fahren möchte“, so Gerhard Allgäuer von den Parents for Future. Karl Zauner, Obmann der Radlobby Niederösterreich, ergänzt: „Um die Menschen aufs Fahrrad zu bekommen, muss man ihnen innerorts und zwischen den Orten eine sichere und einigermaßen komfortable Radverkehrsinfrastruktur zur Verfügung stellen – und dort, wo diese nicht vorhanden ist, zumindest die erlaubte Höchstgeschwindigkeit senken.“ In den Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS) ist eine getrennte Führung von Kfz- und Radverkehr bereits ab 50 km/h vorgesehen.
Die Zeit drängt
Wie wichtig die Förderung der sanften Mobilität ist, zeigt ein Blick auf die österreichischen CO2-Bilanzen der vergangenen Jahre: Während alle anderen Sektoren Rückgänge verzeichneten, nahmen die Emissionen aus dem Verkehr weiter zu. Die Klimakatastrophe abzuwenden kann nur gelingen, wenn auch die Mobiltätswende rasch vorangetrieben wird. Das E-Auto ist in aller Munde, doch die größten CO2-Einsparungen lassen sich durch die Verlagerung auf die aktive Mobilität – das Gehen und Radfahren – erzielen.
Weitere Schwerpunkte der Stellungnahme
• TUKG, Radlobby und Parents for Future begrüßen ausdrücklich einen gesetzlichen Mindestüberholabstand zu Radfahrenden von 1,5 Metern innerorts und zwei Metern außerorts, kritisieren aber die Ausnahme bei Tempo 30. „Das ist eine Einladung zum zu knappen Überholen in engen Gassen“, formuliert Robert Koch von der Radlobby Klosterneuburg.
• Die Initiativen treten für eine generelle Senkung der Höchstgeschwindigkeit auf 100/80/30 km/h ein – und, wie bereits erwähnt, für eine verpflichtende Temposenkung in Bereichen mit fehlender oder mangelhafter Infrastruktur für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen sowie im Umkreis sensibler Bereiche.
• Bei der viel zitierten „Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs“ müssen endlich auch die aktiv mobilen Menschen mitbedacht werden. Aktuell wird deren „Flüssigkeit“ häufig durch viel zu schmale oder fehlende Gehsteige und Radwege, fehlende Querungshilfen, „Bettelampeln“ mit langen Wartezeiten oder die Verkehrszeichen „(Geh- und) Radweg Ende“ oder „Stopp“ selbst auf Hauptradverbindungen beeinträchtigt.
• Weiters fordern die Initiativen eine Aufhebung der Benützungspflicht für Radverkehrsanlagen, die eine Gefährdung der Nutzer*innen darstellen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Fahrrad- oder Mehrzweckstreifen neben einer Parkspur so schmal angelegt wurden, dass kein ausreichender Abstand zu parkenden Autos eingehalten werden kann. Mindestens 1,2 Meter Abstand empfiehlt die Radlobby, um nicht gegen unachtsam geöffnete Autotüren zu knallen. Derartige „Dooringunfälle“ häufen sich und enden nicht selten mit schweren Verletzungen oder sogar tödlich.
• Wenn Kfz-Lenker*innen nicht vor Schutzwegen und Radfahrerüberfahrten anhalten oder Radfahrer*innen zu knapp überholen, dann ist das kein Kavaliersdelikt, sondern sehr gefährlich. Daher sollten diese Delikte in die Strafbestimmungen (§ 99 StVO) aufgenommen werden. Weiters gehören die Gefährdung schwächerer Verkehrsteilnehmer*innen und überhöhte Geschwindigkeit als Vormerkdelikte in das Führerscheingesetz (FSG).
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Hier geht’s zu unserer Stellungnahme im vollen Wortlaut. Alle weiteren Stellungnahmen können auf der Parlamentswebsite eingesehen werden. Danke auch an die Radlobby Österreich, die Radlobby St. Pölten, das KfV, den VCÖ und an alle anderen, die sich im Sinne der aktiven Mobilität an der Begutachtung beteiligt haben!