Am 25.9.2020 durften wir endlich die Anliegen von „Platz für Klosterneuburg“ dem Gemeinderat näherbringen. Hier die vollständige geplante Rede. Sie wurde allerdings nach ca. 10 Minuten wegen der Redezeitbeschränkung abgebrochen (siehe unten). Leider ist es in der aktuellen Geschäftsordnung auch nicht vorgesehen, dass die Anliegen vom Gemeinderat diskutiert werden, an einer Änderung wird aber gearbeitet.

Sehr geehrter Gemeinderat, lieber Herr Bürgermeister,

Platz für Klosterneuburg. Ich wollte ja am 3. Juli, direkt nach der Radparade zu Ihnen sprechen, das hat nicht geklappt wie Sie wissen. Das Gute ist, ich hab viel Zeit gehabt über meine Rede nachzudenken. Heute in der Früh hab ich es mir noch einmal anders überlegt.

Ich hab meine Kinder in die Schule in Kierling gebracht. Es hat geregnet. Das letzte Stück auf einem ein Meter breiten Gehsteig. Die Autos auf der acht Meter breiten Fahrbahn sind mit 60km/h an uns vorbeigezogen, das Wasser ist zwei Meter hoch gespritzt und hat alle Kinder nass gemacht. Das war für mich ein sehr starkes Bild dafür wie wir hier in Klosterneuburg mit Fußgängern, Radfahrern, Kindern umgehen.

Ich rede sehr viel mit meinen Kindern über diese Dinge. Ich kann mich gut an meine Kindheit erinnern. Ich hab einfach darauf vertraut, dass die Erwachsenen schon das richtige tun werden. Heute bin ich der Erwachsene. Und wenn ich mit meinen Kindern rede, erwarten sie ganz selbstverständlich von mir und den anderen Erwachsenen, dass wir das richtige tun. Dann sag ich ihnen die Wahrheit. Ich glaub die Kinder haben es verdient die Wahrheit zu hören. Ich sage: Kinder, wir leben hier und heute in einem Paradies. Dann kommt: “Aber Papa, du jammerst doch dauernd, dass es zu viele Autos gibt.” Stimmt. Aber wo auf dem Planeten und wann in der Geschichte hat es mehr Wohlstand, Frieden und Gesundheit für alle Menschen gegeben? Und trotzdem hab ich große Angst. Klosterneuburg wird in 50 Jahren vollkommen anders aussehen, in die eine oder andere Richtung. Schwer vorzustellen, wenn man hier in der Oberen Stadt spazieren geht, wo sich scheinbar nie etwas verändert.

Ressourcenverbrauch

Wir Menschen haben einen exponentiell wachsenden Ressourcenverbrauch, da gibt es sehr viele Untersuchungen dazu. Seit heuer wissen wir ja alle sehr genau, was exponentielles Wachstum bedeutet. Die Infektionszahlen wachsen zuerst langsam. Irgendwann erreicht die Kurve einen Punkt, wo es kritisch wird. Und dann geht alles ganz schnell. Dann braucht es entweder sofortige harte Maßnahmen, oder die Situation gerät außer Kontrolle. An genau diesem Punkt stehen wir heute mit unseren planetaren Grenzen. Das exponentielle Wachstum ist sein 50 Jahren bekannt. Das hat schon der Club of Rome gewusst. Aber jetzt stehen wir an dem kritischen Punkt wo wir handeln müssen. Trotz aller bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind wir noch immer im exponentiellen CO2-Wachstum. Alle seriösen Klimatologen sind sich da absolut sicher. Wenn wir noch 10 oder 20 Jahre so weitermachen wie derzeit, kriegen wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen Temperaturanstieg, wo weltweit ein Großteil der heutigen Agrarflächen nicht mehr bewirtschaftbar sind. Milliarden Menschen werden hungern. Es wird riesige Migrationswellen und Kriege geben. Ökosysteme werden unwiederbringlich zusammenbrechen. Vielleicht erlebe ich das nicht mehr. Meine Kinder werden das sicher erleben, und das macht mir Angst.

Klimanotstand

Dann schauen die mich mit großen Augen an und fragen: “Wieso machen das die Menschen, Papa?” Naja, die Menschen werden schon klüger. Ich erinnere mich gut an Fernsehdiskussionen vor ein paar Jahren, wo österreichische Spitzenpolitiker noch den Klimawandel geleugnet haben, heute wäre das undenkbar. Österreich und übrigens auch die EU haben letztes Jahr den Klimanotstand ausgerufen und dem Klimaschutz allerhöchste Priorität gegeben. Mit anderen Worten: Es gibt nichts in Österreich, was wichtiger als der Klimaschutz wäre. Bis 2040 wollen wir “CO2-neutral” sein. Das ist kein Werbespruch, den man auf ein Elektroauto pickt, sondern das ist wörtlich so gemeint und todernst. Das sind 5% weniger Emissionen 2021, 10% weniger 2022, und so weiter. Zum Vergleich: Corona führt 2020 zu vielleicht 5% Emissionsrückgang. Wir brauchen also ähnlich einschneidende Veränderungen, jedes Jahr. Das ganze ist natürlich eine unvorstellbar schwierige Aufgabe. Das kann nur klappen, wenn wir alles in Frage stellen und jeder mithilft. Als Privatperson, Unternehmer, Dienstnehmer, in ehrenamtlicher Funktion oder natürlich als Politiker. Der Gemeinderat kann sehr viel tun.

Stadtentwicklung

Damit komm ich endlich zum eigentlichen Thema “Platz für Klosterneuburg” zurück: Der Verkehr verursacht ca. 30% der CO2-Emissionen, zum Großteil ist das Autoverkehr, von dem wir ja wissen, dass er der Stadt sowieso nicht gut tut. Autostädte sind ein historischer Irrtum, jeder Stadtplaner wird Ihnen das bestätigen. Autos brauchen zehnmal so viel Platz wie zum Beispiel Busse oder Fahrräder. Die strukturelle Entwicklung der Stadt leidet unter dem Autoverkehr, weil Geschäfte, Gastronomie und Kultur aus den Zentren abwandern in die Peripherie oder wie in unserem Fall einer Satellitenstadt nach Wien. Die traditionellen Plätze und Einkaufsstraßen werden durch die Autos immer unattraktiver. Dazu kommt, dass nicht jeder mit dem Auto fahren kann. Kinder zum Beispiel nicht. Die werden dann mit dem Elterntaxi herumgeführt, obwohl der selbstständige Schulweg so wichtig wäre.

Positive Beispiele

Das klingt alles sehr düster und hoffnungslos. Aber es gibt Lösungen für alle diese Dinge. Und es gibt viele europäische Städte, die schon auf einem sehr guten Weg sind. Ich lade Sie ein, sich diese Beispiele anzuschauen (siehe unten). Besonders bemerkenswert finde ich Paris. Das war früher eine starke Autostadt. Seit einigen Jahren wird dort der Autoverkehr systematisch reduziert. Die Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat im Frühling als Wahlversprechen angekündigt, zusätzlich die Hälfte der Parkplätze zu streichen und stattdessen Radwege zu bauen. Und sie ist wiedergewählt worden. Die Bevölkerung versteht die Notwendigkeit dieser Maßnahmen. So wie ja bei uns auch durch den Lockdown die Umfragewerte der Bundesregierung nach oben geschossen sind.

Forderungen

Am 1. Juli haben Radlobby und Parents for Future gemeinsam aufgerufen, unter dem Titel “Platz für Klosterneuburg” genau für diese Dinge zu demonstrieren. Circa 100 Teilnehmer sind gemeinsam durch Klosterneuburg geradelt. In den Reden und Gesprächen haben wir gehört, dass junge Menschen gleich nach der Matura aus der Stadt flüchten, weil Sie sie als reine Wohnstadt ohne Jugendkultur erleben. Wir wollen Klosterneuburg umbauen.

  1. Eine Begegnungszone in der gesamten Oberen Stadt
  2. Den Stadtplatz begrünen und dort großzügige Fußgängerbereiche einrichten
  3. Autofreier Rathausplatz
  4. Sichere Radwege zu allen Schulen
  5. Lücken bei den Hauptradrouten schließen und Vorrang vor den Seitengassen geben
  6. Insgesamt viel mehr Grün und mehr Aufenthaltsflächen schaffen

Maßnahmen

Die Radlobby wird ja mehr und mehr in die Gemeindepolitik eingebunden. Das freut uns natürlich sehr. Ich hab aber dadurch selbst schon erlebt, wie sich die Sichtweise verändert, wenn man plötzlich selbst in der Lage ist, politische Kompromisse suchen zu müssen. Auch kleine Schritte sind oft viel Arbeit. Bei aller Freude darüber, dass wir ein paar Meter Radweg bei der Agnesbrücke kriegen und hoffentlich bald 500 Meter beim Stollhof, muss uns klar sein: Das reicht nicht. Wer hier im Saal glaubt, dass wir damit nächstes Jahr 5% CO2 einsparen werden? Ich frage mich sehr oft, wieso das nicht schneller geht. Die typische Antwort, die wir meistens bekommen: “Die Anrainer haben auch Interesse an Autoabstellplätzen in Ihrer unmittelbaren Nähe.” (Lieber Herr Honeder, das hab ich übrigens aus Ihrem Brief.)

[Anmerkung: An dieser Stelle wurde die Rede aufgrund der Redezeitbeschränkung abgebrochen.]

Sie alle sind sicher in die Politik gegangen, um zu gestalten. Wer gestalten will, muss zuerst Platz schaffen. Das kann weh tun, aber damit muss Politik umgehen können. Ich bitte Sie, wägen Sie ehrlich ab, was wichtiger ist: Die Zukunft unserer Kinder, Klimakatastrophe, höchste Priorität. Oder die unmittelbare Nähe der Autoabstellplätze? Jetzt denken Sie vielleicht, das ist unfair. Er vergleicht den Planeten mit einer Straße in Klosterneuburg. Aber es ist nicht nur eine Straße. Wir hören diese Argumente immer und immer wieder. Jede kleine Straße ist ein Puzzlestück um die Wende zu schaffen. Jede kleine politische Entscheidung ist wichtig.

Zwei Bitten

Und daher habe ich heute zwei Bitten an Sie:

  1. Sehen Sie jede dieser kleinen politischen Entscheidungen als Puzzlestück und überlegen Sie zuallererst, ob sie mit den Klimazielen vereinbar ist, so wie es die Dringlichkeit und Priorität des Klimanotstandes erfordert.
  2. Denken Sie aber auch im Großen: Erstellen Sie möglichst konkrete zukunftsfähige Verkehrskonzepte für 2030 und 2040 und einen Zeitplan um dorthin zu gelangen. In 20 Jahren muss der Autoverkehr auf ein unbedingt nötiges Minimum reduziert sein. Das Elektroauto ist keine Lösung. Wer das als CO2-neutral bezeichnet, vergisst Produktion, Straßenbau und Stromversorgung. Alles das kostet unendlich viel Energie, Rohstoffe und Arbeitszeit. Wertvolle Ressourcen die wir für die Klimawende dringend woanders brauchen. Abgesehen davon löst es nicht die Platzprobleme in der Stadt.

Einladung

Zum Abschluss möchte ich Sie einladen, mit uns, der Radlobby und den Parents for Future, zusammenzuarbeiten. Die Parents haben erst diese Woche ein sehr gutes Gespräch mit VBM Honeder gehabt. Die nächste Gelegenheit, mit der Radlobby in Kontakt zu treten, ist unser Herbstanradeln, das wir am kommenden Dienstag veranstalten. Wir sehen uns gemeinsam einige Problemstellen in der Stadt an und diskutieren danach in der Pizzeria im Gastgarten weiter. Auch da ist VBM Honeder angemeldet, so wie bereits einige Gemeinderäte.

 

Ressourcenverbrauch (Great Acceleration)

(Stern) Pariser Bürgermeisterin verbannt die Autos und will die Stadt komplett umbauen

(Streetfilms) Utrecht – Planning for People, not for Cars

(VCÖ) Mobilitätspreis Gemeinde Göfing

(Zeit) Brüssels kleine Verkehrsrevolution

(Guardian) Milan announces ambitious scheme to reduce car use after lockdown

Video der Sitzung

Die komplette Sitzung ist als Video abrufbar. Der Speakers Corner beginnt nach 11min.

https://www.facebook.com/watch/live/?v=357895972257991&ref=watch_permalink&t=660

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„Platz für Klosterneuburg“ im Gemeinderat